Zukunft der Arbeit im Sozialwesen

Zwischen emanzipativen Vorstellungen, Ökonomisierungsdruck und einer sich drastisch verändernden Umwelt.
Mit Julia Mai – FAU Frankfurt (Sozialarbeiterin) und
Karsten Renner - FAU Frankfurt (Sozialarbeiter)



Geprägt von Effizienzkriterien, einem hohen Kostendruck, sowie dem starken Fachkräftemangel bei anhaltend niedrigen Gehältern, ist die Arbeit im Sozialwesen von starken Ökonomisierungstendenzen betroffen und übernimmt zunehmend die Rolle der "Elends-Verwalterin". Ausgehend von der Annahme, dass sich die soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft - auch getrieben durch die Digitalisierung in anderen Branchen - weiterhin verschärfen wird, möchten wir diskutieren, welche Entwicklungen auf uns zukommen und wie eine (Re)politisierung der Sozialen Arbeit und ihrer Beschäftigten unter dem Begriff "Arbeitskampf 4.0" stattfinden kann. Julia Mai – FAU Frankfurt (Sozialarbeiterin) und Karsten Renner - FAU Frankfurt (Sozialarbeiter) Hintergrundinformationen zur Arbeitsgruppe und Anregungen zur Diskussion: Die soziale Lage: Die Bundesrepublik ist in Bezug auf die Vermögensverteilung eines der ungleichsten Länder in der industrialisierten Welt. Denn die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzen mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens, während die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur einen Anteil von 1,3 Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Weiterhin waren im Jahr 2018 etwa 5,5 Millionen Menschen auf SGB-II-Leistungen angewiesen, wovon rund 990.000 Menschen seit mindestens zehn Jahren und 540.000 Menschen bereits seit 14 Jahren oder länger Harzt-IV-Leistungen beziehen. Darüber hinaus erzielen auch Vollzeitbeschäftigte immer weniger Einkommen, da mehr als 10 % von ihnen im Niedriglohnbereich arbeiten. Die Arbeitssituation: Im Sozialwesen herrscht eine ausgeprägte Arbeitsintensität, jedoch liegt das Lohnniveau in diesem Sektor erheblich unter dem nationalen Durchschnitt. Insbesondere in Deutschland ist der Abstand zum durchschnittlichen Lohnniveau besonders groß. Zum Teil erklärt sich der Lohnrückstand dadurch, dass im Sozialwesen relativ viele Helfer*innen, also niedrig qualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt sind. Aber auch qualifizierte Fachkräfte werden vergleichsweise gering entlohnt und sind zusätzlich nur in unzureichender Anzahl vorhanden. Hinzu kommt, dass die an den öffentlichen Dienst angelehnten Tarife für das Sozialwesen ungeeignet sind, da sie für die staatliche Verwaltung ausgelegt sind, nicht aber für moderne Dienstleistungsunternehmen der Sozialen Arbeit, die in Konkurrenz zu anderen Anbietern stehen. Die Lohnarbeit: Vor allem wegen dieser zuvor genannten Umstände sind etwa zwei Drittel der Beschäftigten in der Sozialen Arbeit gar nicht oder nur in geringem Maße mit ihrer Arbeitssituation zufrieden. Außerdem glaubt etwa die Hälfte der im Sozialwesen Beschäftigten mit der späteren Rente nicht auszukommen. Die Arbeitsverhältnisse: Befristete Verträge und Teilzeitarbeit sind im Sozialwesen weit verbreitet. Es ist zwar positiv, wenn Menschen in Teilzeit beschäftigt werden können, sofern sie dies möchten, jedoch ist die Teilzeitbeschäftigung in vielen Bereichen des Sozialwesens kein Wunsch, sondern ökonomische Notwendigkeit durch den Arbeitgeber. Teilzeitarbeit und eine geringe Arbeitsplatzsicherheit, verbunden mit Befristungen führen bei vielen Beschäftigten zu berechtigten Existenzängsten. Zusätzlich ist die Existenzsicherung infolge des niedrigen Einkommensniveaus schwierig. Der neue Sozialstaat: Mit dem Ende des klassischen familialen Arbeitsteilungsmodells wurde die Bindung der Sozialpolitik an das Modell des Standard-Normalverdieners aufgegeben. Der „neue Sozialstaat“ verlangt, dass soziale Geldleistungen zunehmend durch Dienstleistungen ersetzt werden, auch um bessere Rahmenbedingungen für die Erwerbsintegration von Frauen zu schaffen. Außerdem sollen mehr finanzielle Ressourcen für Prävention sowie für Bildung aufgewendet werden, damit Menschen möglichst lange und unabhängig von staatlichen Leistungen ein Einkommen erzielen können und zusätzlich frühzeitig in die Lage versetzt werden, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Der sozialstaatliche Schutzgedanke wird hierbei jedoch zugunsten der Betonung von Eigenverantwortung zurück gedrängt. Dies führt dazu, dass die subsidiären (unterstützenden) Leistungserbringer gegenüber den „Kunden“ in ihrer Stellung geschwächt werden und die Aufwertung des Kunden einer weiteren Öffnung für den marktwirtschaftlichen Wettbewerb dient. Gleichzeitig werden die staatlichen Steuerungsmöglichkeiten gestärkt, jedoch ohne dass eine materielle Basis hierfür vorhanden wäre und es kommt zudem zu einer Erhöhung der bürokratischen Aufwendungen, die es ermöglicht stärkere Kontrollmechanismen sozialer Dienstleistungen und ihrer Adressaten zu schaffen. Maßnahmen zur Reform des Sozialsektors: Der soziale Sektor wird zunehmend in einer konkurrenzartigen Wettbewerbsstruktur organisiert (von der Pflegeversicherung bis in weite Bereiche sozialer Dienste). Zudem wird die öffentliche Verwaltung unternehmensorientiert umstrukturiert, was bedeutet, dass Kontraktmanagement, Controlling und Benchmarking zunehmen. Daneben wird zum einen die Arbeitsmarktpolitik unter dem Leitbild des Forderns und Förderns organisiert und zum anderen werden soziale Dienstleistungen weiterhin dezentralisiert, also soziale Aufgaben zunehmend auf die Kommunen und von dort auf die Sozialräume verlagert. Digitalisierung: Während die wachsende Bedeutung von digitalen Plattformen für gewisse Wertschöpfungsketten unstrittig ist, schwanken die Einschätzungen über die Folgen der Digitalisierung in Bezug auf Rationalisierungseffekte. In der sozialen Arbeit könnten die Auswirkungen dieser Rationalisierungseffekte auf die tägliche Arbeit erheblich sein. Wenn beispielsweise softwarebasierte Tools, die auf unbekannten Algorithmen basieren und Wahrscheinlichkeiten berechnen, zur Diagnose und Urteilsbildung immer stärkere Anwendung in der Fallarbeit finden, könnte dies dazu führen, dass die Benachteiligung und Diskriminierung bestimmter sozialer Gruppen gestärkt wird. Adressaten sozialer Dienstleistungen und anspruchsberechtigte Personen könnten systematisch von bestimmten Leistungen und Zahlungen ausgeschlossen werden. Folglich wäre der in der sozialen Arbeit charakteristische menschliche und soziale Faktor, gänzlich ausgehebelt. Einzig das Computersystem, bzw. der Algorithmus würde dann eigenständig Entscheidungen über „Kunden“ und Maßnahmen treffen.

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